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Wien, 02.10.2017 Grundsätzlich begrüßt die IVS Wien den Gesetzesentwurf zur neuen Wiener Mindestsicherung. Insbesondere die Tatsache, dass sich die Wiener Landesregierung gegen massive Kürzungen entschieden hat, wie sie in anderen Bundesländern leider auf der Tagesordnung stehen, verdient ausdrückliche Würdigung. In einem politischen Umfeld, in dem immer mehr Akteure auf populistische Rhetorik setzen und dabei einen sozialpolitischen Kahlschlag bewusst vorantreiben, ist das alles andere als selbstverständlich.
Auch die Schwerpunktsetzung auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik insbesondere für junge Erwachsene begrüßt die IVS Wien ausdrücklich.
Dennoch gibt es einige Punkte vor allem in Bezug auf Menschen mit Behinderungen, die befristet erwerbsunfähig sind, bei den aus Sicht der IVS Wien ein dringender Nachbesserungsbedarf besteht.
§ 5
In unserer täglichen Praxis erleben wir immer häufiger, dass für Menschen mit Behinderungen der Anspruch auf Mindestsicherung umstritten ist, vor allem bei EU-BürgerInnen, die über keinen Daueraufenthaltstitel verfügen. Dabei handelt es sich um Personen, die aufgrund ihrer Behinderung eine Leistung nach dem CGW in Anspruch nehmen.
Beispiel: eine 18jährige Frau aus dem EU-Ausland, die seit ihrer Kindheit in Wien lebt und an einer psychischen Erkrankung leidet. Sie wird von einer Partnerorganisation des FSW im Rahmen des Teilbetreuten Wohnen unterstützt und lebte vor ihrer Volljährigkeit in einer Einrichtung der MA 11. Von dort aus wurde auch eine Wohnung über Wiener Wohnen organisiert. Der Antrag auf Mindestsicherung wurde abgelehnt, weil sie über keinen Daueraufenthaltstitel verfügt und nicht erwerbsfähig ist. Für die betroffene Frau bedeutet dies, ohne Einkommen zu sein und eigentlich keine Perspektive zu haben in Österreich bleiben zu können. Die Auswirkungen auf ihre psychische Befindlichkeit sind dramatisch, eine Rückkehr ins Herkunftsland nicht vorstellbar, einerseits, weil sie dort über keinerlei Anbindung verfügt, andererseits weil weder eine adäquate Behandlung noch Betreuung gewährleistet sind.
Aus unserer Sicht sollte im Rahmen des Gesetzes sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderungen, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt in Wien haben und auf Behandlung und Betreuung (Leistungen im Rahmen des CGW) angewiesen sind, einen Anspruch auf Mindestsicherung haben, auch wenn sie keine österreichischen StaatsbürgerInnen sind und über keinen Daueraufenthaltstitel verfügen (eventuell analog zu den Bestimmungen für Opfer von Menschenhandel).
§ 8 Abs. 2
Bei der Abstufung der gewährten Leistung sollte aus unserer Sicht das Kriterium der Arbeitsunfähigkeit mit berücksichtigt werden. Nach Zahl 7 erhalten allein lebende Personen unter 25 Jahren nur 75% der WMS, wenn sie sich nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, einer Schulungsmaßnahme oder einer Integrationsmaßnahme befinden. Tatsache ist, dass es in der Praxis für junge, befristet arbeitsunfähige Personen solche Maßnahmen nicht gibt (anders als für arbeitsfähige Personen). Eine Reduktion der WMS wäre deshalb nur dann argumentierbar, wenn eine passende und zumutbare Maßnahme nicht in Anspruch genommen wird. Dies ist allerdings in der Praxis vor allem bei Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr schwer einzuschätzen und die Gefahr, dass es zu ungerechtfertigten Leistungseinschränkungen kommt, ist sehr hoch. Aus diesem Grund empfehlen wir dringend, (befristet) arbeitsunfähige Personen von den Bestimmungen des § 8 Abs. 2 auszunehmen, wenn dieser auf die Teilnahme an einer Schulungs- oder Integrationsmaßnahme abzielt.
§ 14.a und § 15
Der Entwurf sieht vor, dass in Zukunft lediglich dauerhaft arbeitsunfähige Personen und befristet arbeitsunfähige Personen über 50 eine sogenannte Dauerleistung (13. und 14. Bezug der Leistung) erhalten. Für befristet arbeitsunfähige Personen (das sind in vielen Fällen Menschen mit psychischen Erkrankungen, die oft eine Leistung nach dem CGW bei Organisationen der Wiener Behindertenhilfe in Anspruch nehmen), die bisher nach einem Jahr Arbeitsunfähigkeit ebenfalls die Dauerleistung erhalten haben, sollen in Zukunft – im Sinne des Prinzips Sachleistung statt Geldleistung – Rehabilitationsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, die dazu dienen sollen, die Arbeitsfähigkeit (wieder) herzustellen.
Der Entwurf geht hier davon aus, dass für die Gruppe der befristet arbeitsunfähigen WMS-BezieherInnen passende Maßnahmen zur Verfügung stehen und deshalb eine rasche Integration in den Arbeitsmarkt möglich ist.
Die Praxis der medizinischen Rehabilitation zeigt allerdings, dass dies keinesfalls der Fall ist. Es gibt zahlreiche Beispiele von Personen, die medizinisches Rehageld erhalten, denen über Jahre hinweg kein ernsthaftes Rehaangebot zur Verfügung gestellt wird bzw. werden kann. Das ist kein Vorwurf an die WGKK sondern ein Beleg dafür, dass es gerade für die Zielgruppe der nicht arbeitsfähigen Menschen mit psychischen Erkrankungen keine bzw. kaum passgenaue Angebote gibt.
Ebenfalls sehr schwierig ist die Frage der Beurteilung, ob einem nicht arbeitsfähigen Menschen eine bestimmte Maßnahme zugemutet werden kann. Die Gefahr, dass es hier ungerechtfertigt zu Leistungseinschränkungen kommt, ist sehr hoch und steht in keinem Verhältnis zu den damit verbunden Einsparungseffekten.
Die IVS Wien tritt dafür ein, dass wie bisher auch Personen die länger als ein Jahr befristet arbeitsunfähig sind, die Dauerleistung beziehen können. Eine Streichung der Dauerleistung kommt für aktuelle BezieherInnen einer Bezugskürzung um 16% gleich, was bei dieser Einkommenshöhe dramatisch ist. Eine Kürzung der Dauerleistung könnte zum Beispiel dann in Betracht kommen, wenn eine zumutbare Rehamaßnahme nicht angenommen wird.
Weiters besteht die Gefahr, dass aufgrund dieser Einschränkung viele betroffenen Personen versuchen werden, den Status der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu erhalten, damit sie die Dauerleistung beziehen können. Das widerspricht natürlich der Intention des Gesetzes, die Reintegration in den Arbeitsmarkt fördern zu wollen (siehe dazu auch die Erläuterungen zu § 14.a des Entwurfs).
Robert Mittermair
Sprecher der IVS Wien